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Wildverbiss (hier ein Beispiel aus dem Tristeliwald in Pfäfers (SG)) gefährdet die Waldverjüngung – und hat Kosten zur Folge.Foto: Raphael Schwitter

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Monetäre Bewertung von Wildschäden im Schutzwald

An sechs Fallbeispielen im Kanton Graubünden zeigt ein interdisziplinäres Team, wie Wildverbissschäden finanziell beziffert werden können. Bei der Interpretation der Resultate müssen die spezifischen Voraussetzungen jedes Standortes sorgfältig berücksichtigt werden.

Nora Zürcher-Gasser1, Christine Moos2, Monika Frehner3, Massimiliano Schwarz2 und Marco Vanoni4 | In Berggebieten hat der Schutzwald eine grosse Bedeutung für Siedlungen und Verkehrswege. Gleichzeitig bieten die Gebirgswälder Lebensraum für Wildhuftiere, die sich unter anderem von Trieben und Knospen junger Bäume ernähren. Der Verbiss kann das Aufwachsen junger Bäume verzögern oder gar verhindern und dadurch die Struktur und Artenzusammensetzung von Wäldern beeinflussen [2]. Insbesondere in Schutzwäldern können durch starken Wildverbiss verursachte Verjüngungsprobleme erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen [3, 4]. Da der Verbiss heute geschieht, der Schaden aufgrund fehlender Verjüngung aber erst viel später auftritt, ist es herausfordernd, diesen zu beziffern. Anhand von sechs Fallbeispielen aus dem Kanton Graubünden wird aufgezeigt, wie wildhuftierbedingte Verjüngungsprobleme im Schutzwald monetär bewertet werden können.

Waldentwicklungsszenarien als Grundlage

Als Grundlage für die monetäre Bewertung wurde pro Fallbeispiel die zukünftige Wald­entwicklung für Szenarien mit unterschiedlichem Verbissdruck und unterschiedlichen Annahmen bezüglich Wildschadenverhütungsmassnahmen abgeschätzt. Für die verschiedenen Szenarien wurden schliesslich die finanziellen Konsequenzen quantifiziert, die aufgrund des Risikoanstiegs und/oder für technische Schutzbauten (a-Szenarien) beziehungsweise für den Erhalt der Schutzwirkung des Waldes (Wildschadenverhütungsmassnahmen, b-Szenarien) entstehen. Wo aufgrund der Datenlage möglich, wurden zusätzlich «wildbedingte Fehlinvestitionen» abgeschätzt (Grafik 1).

Überblick über mögliche Konsequenzen

In der Folge werden die einzelnen Fallbeispiele erläutert und die Resultate für das massgebende Szenario dargestellt.

Im Uaul Puzzastg (Gemeinde Sumvitg) wurde bereits vor 30 Jahren ein Rückgang der Schutzwirkung des Altbestandes und ein daraus resultierendes Schutzdefizit festgestellt. Entsprechend wurden temporäre Verbauungen erstellt mit dem Ziel, dass die Verjüngung die Schutzfunktion innert nützlicher Frist übernehmen könnte. Dies ist bis jetzt nicht gelungen, und es mussten ein Teil der bestehenden temporären Verbauungen ersetzt und in neu entstandenen Lücken weitere Verbauungen erstellt werden. Mittlerweile ist an verschiedenen Stellen die Erosion weit fortgeschritten, was die Verjüngung weiter beeinträchtigt. Innerhalb des Betrachtungszeitraums von 50 Jahren sind weitere grosse Investitionen in Schutzbauten respektive ein deutliches Schutzdefizit zu erwarten. Dabei sind die Kosten für waldbauliche Massnahmen zur Erhaltung der Schutzwirkung (3b) tiefer als die Kosten für Schutzbauten oder als diejenigen für erhöhte Risiken durch
Naturgefahren (3a).

Bereits seit 30 Jahren können sich im Gruobenwald (Gemeinde Klosters) sämtliche Baumarten wildbedingt nicht verjüngen. Aus diesem Grund wurden auch keine Eingriffe zur Einleitung der Verjüngung getätigt. Durch altersbedingte Ausfälle sind in den letzten Jahren kleinere Lücken entstanden, in welchen sich Verjüngung hätte etablieren können. Die dringend notwendigen Eingriffe zur Einleitung der Verjüngung bedingen unter dem aktuellen Wildeinfluss hohe Investitionen in Wildschadenverhütungsmassnahmen (3b). Andernfalls sind bereits innerhalb des Betrachtungszeitraums erhöhte Risiken respektive Kosten für Ersatzbauten
zu erwarten.

Dank Eingriffen und Zwangsnutzungen bestehen im Uaul Runfoppa (Gemeinde Disentis/Mustér) verbreitet verjüngungsgünstige Flächen, auf denen sich Fichten- und leicht verzögert auch Waldföhrenverjüngung etablieren kann. Die Verjüngung der Tanne ist wildbedingt nicht möglich. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass der Rückgang der Schutzwirkung im Altbestand durch den Folgebestand kompensiert werden kann. Innerhalb
des Betrachtungszeitraums ist kein Schutzdefizit absehbar. Mit Investitionen in
Wildschadenverhütungsmassnahmen innerhalb des Betrachtungszeitraums könnte allenfalls die Resilienz der Bestände erhöht und damit das Risiko grossflächiger (klimawandelbedingter) Zusammenbrüche reduziert werden.

Im Schwarzwald (Stadt Chur) wurden in den letzten 30 Jahren intensive Eingriffe durchgeführt, um die Verjüngung einzuleiten und die Bestände zu strukturieren. Die Schutzwirkung der Bestände wurde durch die Eingriffe reduziert, die minimalen Anforderungen sind aber noch weitgehend erfüllt. Durch Zwangsnutzungen und altersbedingte Ausfälle ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einem weiteren Rückgang der Schutzwirkung zu rechnen. Im oberen Bereich konnte sich Fichtenverjüngung in den Eingriffsflächen nur vereinzelt und dank WVM einstellen. Im unteren Bereich wächst üppige Buchenverjüngung, die allerdings an diesem Standort als nicht zukunftsfähig beurteilt werden muss (klimabedingter Wechsel zur kollinen Stufe und dadurch vorzeitiger Zerfall des Folgebestandes). Innerhalb des Betrachtungszeitraums sind geringfügige Kosten für Schutzbauten und ein leichter Anstieg der Naturgefahrenrisiken zu erwarten. Aus­serhalb des Betrachtungszeitraums sind entweder ein massives Schutzdefizit oder hohe Kosten für Ersatzbauten absehbar.

Im Bannwald Tinizong (Gemeinde Surses) wurden bereits in den 1970er-Jahren erste Lücken zur Einleitung der Verjüngung geschaffen. In den Eingriffs- und Zwangsnutzungsflächen konnte sich nur vereinzelt und dank grosser Anstrengungen mit Wildschadenverhütungsmassnahmen Fichten- und Lärchenverjüngung etablieren. Die heute bestehenden Lücken sind vereinzelt nicht NaiS-konform [5], insgesamt ist die Schutzwirkung aber noch immer hoch, und innerhalb von 50 Jahren ist noch kein akutes Schutzdefizit absehbar. Entsprechend sind im Betrachtungszeitraum nur geringe Kosten für Schutzbauten und/oder erhöhte Risiken zu erwarten. Aufgrund der desolaten Verjüngungssituation und der verbreitet älteren Bäume ist allerdings absehbar, dass die Schutzwirkung des Altbestandes langfristig stark zurückgehen wird, ohne dass sie durch den Folgebestand kompensiert werden kann. Daher ist ein massives und lange andauerndes Schutzdefizit ausserhalb des Betrachtungszeitraums absehbar. Dieses kann nur mit hohen Investitionen in Wilschadenverhütungsmassnahmen innerhalb des Betrachtungszeitraumes verhindert werden. Oder es muss allenfalls mit Schutzbauten kompensiert werden.

Im Putzerberg (Gemeinde Luzein) wurden seit 2000 umfangreiche Eingriffe zur Verjüngungseinleitung ausgeführt. Wie aus dem Bild in Grafik 2 ersichtlich wird, ist aus­serhalb der eingezäunten Flächen aufgrund des hohen Wilddruckes kaum entwicklungsfähige Verjüngung vorhanden. Die Eingriffe haben die Schutzwirkung des Altbestandes reduziert, ohne die gewünschte Wirkung bezüglich Folgebestand zu erzielen. Somit muss bei diesen Eingriffen von «wildbedingten Fehlinvestitionen» gesprochen werden. Diese betragen für die Periode von 1997 bis 2013 im Putzerberg knapp CHF 200 000. Für dieses Beispiel wurden keine Folgekosten aufgrund von Verbauungen, erhöhten Risiken etc. abgeschätzt.

Wilddruck kann massive Kosten verursachen

Die hier vorgestellten Fallbeispiele machen die Kosten, die wegen hohen Wilddrucks im Schutzwald entstehen können, greifbar. Sie zeigen auf, dass Wildschadenverhütungsmassnahmen höchstens lokal und bei mässigem Wilddruck effizient sein können. Die präsentierten Resultate sind nicht nur relevant für die Fallstudiengebiete, sondern können auch wichtige Informationen für andere Gebiete mit ähnlichen Ausgangslagen bezüglich Waldzustand, Wildverbiss und
Gefahrenprozesse liefern. Die vorgeschlagene Methode kann ausserdem an anderen Orten mit ähnlicher Datengrundlage angewendet werden.

Die Fallbeispiele machen jedoch auch deutlich, dass die spezifischen Voraussetzungen eines Standorts entscheidend sind. Bei gutem Waldaufbau kann es sehr lange gehen, bis die Verjüngungsprobleme die Schutzwirkung beeinträchtigen. Aufgrund der langen Zeiträume im Schutzwald ist es daher kaum möglich, Kosten und Nutzen von Massnahmen ganzheitlich zu erfassen. Dies kann zu unvollständigen Beurteilungen und in der Folge zu Fehlentscheiden führen. Daher plädiert das Autorenteam dieses Beitrags dafür, bei der Massnahmenbeurteilung nebst Kosten-Nutzen-Überlegungen auch das Vorsorgeprinzip anzuwenden und bei Entscheiden zwingend auch monetär kaum bezifferbare langfristige Entwicklungen zu berücksichtigen.

Die Fallstudien zeigen auch, dass die Auswirkungen von lang anhaltendem starkem Wilddruck nicht schlagartig behoben werden können, sondern dass es lange dauert, bis die Folgegeneration die Schutzfunktion wieder gewährleistet. Dies macht den Einsatz von Schutzbauten als Ersatz für die Schutzwirkung nötig oder hat einen (vorübergehenden) Risikoanstieg zur Folge. Infolge des Klimawandels werden Störungen zunehmen. Die Verjüngung mit zukunftsfähigen Baumarten wird dadurch vielerorts dringender. Umso mehr sollte in Zukunft bei erkannten Wildschäden frühzeitig reagiert und der Wilddruck reduziert werden, um zukünftige grosse Investitionen (oder Risikoanstieg) zu verhindern.

Die Autorinnen und Autoren sind für folgende Institutionen tätig: 1Gadola AG, Rabius, 2Berner Fachhochschule HAFL, Zollikofen, 3Gruppe Waldbau, ETH Zürich, 4Schutzwald & Waldökologie, Amt für Wald und Naturgefahren, Kanton Graubünden.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich 2023 in einer ausführlicheren Fassung in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen [1].

 

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