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Stefan Wiesner stellt mit seinen Motorsägen etwa Späne, Sägemehl und Holzwolle her, welche er zur Aromatisierung seiner Gerichte verwendet. Mit Splintholz gibt er Saucen und Glacen Geschmack, mit Sägemehl räuchert er Käse, und fein gemahlene Rinde kommt in den Pastateig.Fotos: Sarah Sidler

Zeitschriften | Verband & PolitikLesezeit 2 min.

«Ein Koch ohne Motorsäge ist kein richtiger Koch»

Der Gourmetkoch Stefan Wiesner, auch bekannt als der Hexer aus dem Entlebuch, verkochte schon Bäume von A bis Z. Er bereitet die Gerichte seiner alchemistischen Naturküche ausschliesslich über Holz und Kohle zu. Pro Jahr benötigt er dafür rund 100 Ster «Entlebuche».

Sarah Sidler | Auf die Frage, was ihm Bäume bedeuten, antwortet Stefan Wiesner: «Bäume sind alles. Ohne Bäume kein Leben.» Nicht unbedingt eine Antwort, welche man von einem international bekannten, mit Punkten und Sternen ausgezeichneten Koch erwartet. Doch wer sich seine Philosophie zu Gemüte führt, ihm zuhört und zuschaut, spürt seinen tiefen Respekt, seine Achtsamkeit und Dankbarkeit der Natur gegenüber. Bekannt wurde er durch seine alchemistische Naturküche, welche er jahrzehntelang im Restaurant Rössli in Escholzmatt (LU) servierte. 

Den Bäumen hat sich der Hexer vom Entlebuch mit Haut und Haar verschrieben. Der 63-Jährige erarbeitete sich in seinem Berufsleben ein wohl weltweit einzigartiges Wissen darüber, wie man aus allen Bestandteilen von Bäumen Speisen zaubert. Heute sagt er: «Ein Koch ohne Motorsäge ist kein richtiger Koch.»

Seit 2023 wirkt der Gourmetkoch im Wiesner Mysterion in Bramboden (LU). Wer das Lokal «Werkstatt» betritt, erfährt anhand Wiesners Geschmacksbibliothek eindrücklich, wie umfassend Bäume in seiner Küche vorkommen. In kleinen gläsernen Behältern findet man beispielsweise eingelegte Arve, Flechten und Staub von Rottannen, gekochte Baumpilze, Rebholzkohle und das Granulat einer 3500 Jahre alten Mooreiche. Das Exklusivste sind jedoch die Späne einer 14 000 Jahre alten Moorkiefer, welche sich in einer Lehmschicht konservierten und durch ein Bauvorhaben zum Vorschein gekommen sind. «Diese Späne verwenden wir – gemahlen und gemischt mit Salz – nur sehr sporadisch. Diese Zutat symbolisiert für uns die Zeit», erläutert Stefan Wiesner.

In der «Werkstatt» wird jeweils von Mittwoch- bis Samstagmittag ein saisonales Viergangmenü aufgetischt. Zubereitet wird dieses auf der Terrasse davor auf Feuerringen. Diese dienen gleichzeitig als Koch-, Brat- und Gar- sowie Warmhaltestation. Das Wiesner-Zauber-Gourmet-Menü wird im Raum nebenan mit einer grossartigen Sicht auf das Biosphärenreservat Entlebuch von Mittwoch bis Samstag serviert. Alle neun Gänge bereiten Stefan Wiesner und seine Crew im Feuerwagen zu. Dieser steht vor dem Lokal und ist mit verschiedensten Öfen, Grills sowie Feuerstellen ausgestattet. Ein eindrückliches Mobil.

Der Hexer vom Entlebuch kam nicht umsonst zu seinem Namen. «Ich koche nicht nur mit tierischen und pflanzlichen Produkten, sondern auch mit Hölzern, Steinen, Erde und Kohle.» Es sei ihm sehr wichtig, die Produkte, deren Umgebung und Herkunft zu kennen. Nur wer die Natur verstehe, könne auch mit deren Erzeugnissen kochen. «Ich arbeite mit der Natur, mache Geschichten und Kunst daraus. Meine Gerichte sind Performance.» Stefan Wiesner kochte schon Steinzeit, Bauhaus, Paracelsus und die Magie der Bäume. Der Prozess hinter seinen Mehrgängern ist enorm. «Wer mein Gourmetmenü isst, nimmt ein Teil von mir auf», sagt er. Das erklärt, wieso dieses nur vier Mal jährlich wechselt. Derzeit ist die alchemistische Naturküche des Kochs, Tüftlers, Künstlers, Philosophen, Forschers und Entdeckers mit einem roten Michelin-Stern, zwei grünen Michelin-Sternen sowie einem Bib Gourmand sowie 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet.

Kreisläufe schliessen

Stefan Wiesner nimmt seine Gäste mit seinen Menüs mit auf eine Reise voller Freud und Leid. «Ich will nicht nur gefallen.» So tischte er seinen Gästen schon kleine Torfkugeln zum Dessert auf, welche er mit rauchig-torfigem Whiskey und etwas Schokolade aromatisierte. Als Panade für Poulet verwendete er das Futter, welches die Hühner gefressen haben. «Ich will Kreisläufe schliessen.» Es ist also schlüssig, dass der Naturkoch für seine Menüs mit dem Namen «Magie der Bäume» alles vom Baum verwendete. Vor einigen Jahren kochte der zweifache Familienvater mit 35 verschiedenen Baumarten. Als Zutaten für seine Gerichte verwendete er Nüsse, Samen, Früchte, Keimlinge, Sprossen, Blüten, Blätter, Rinde und der Stamm in allen möglichen Konsistenzen und Texturen. Am Beispiel eines Kirschbaums erklärt er: Keimlinge können roh, wie Sprossen, oder frittiert, wie Chips, gegessen werden. Aus jungen Blättern wird Pesto, alte Blätter dienen eingelegt als Wickel oder werden getrocknet und gemahlen zu Blättersalz. In Essig eingelegte Knospen ersetzen Kapern. Blütenblätter kandiert seien «ein japanischer Traum», und eingemachte Grünkirschen schmecken wie Pickels.

Holz wird destilliert oder im Wasser gekocht zum Aromatisieren verwendet. So nimmt beispielsweise Rahm, der mit einem Stückchen Holz gekocht wird, eine Barriquenote an. «Alle Hölzer haben Vanilin drin. Das Fett transportiert diesen Geschmack.» Auch feine Streifen von Kambium nimmt er zum Süssen. Denn dieses besteht aus Xylit, und das schmeckt ähnlich wie Zucker. Ein Dessert könnte bei ihm folgendermassen aussehen: Arveneis, dekoriert mit gerösteten Arvennadeln, serviert auf einer Flechte, welche auf diesem Baum gewachsen ist. Auch Rinden, Rugel und Blätter kommen als Unterlage zum Einsatz. Stefan Wiesner könnte unendlich lange darüber berichten, wie er welche Bestandteile von Bäumen in der Küche verwendet. Sein Wissen scheint unermesslich.         

Eine Ära geht zu Ende

Benötigt er von einem Produkt – wenn man dies so nennen kann – grössere Mengen wie etwa die Nadeln von Douglasien, dann arbeitet er mit der lokalen Bevölkerung zusammen. So liefert ihm ein Bauer beispielsweise die Nadeln der amerikanischen Fichte, welche im Entlebuch nicht selten vorkommt. Und um an genügend Samen für seine verschiedenen Öle aus Baumsamen zu kommen, hilft ihm ein Förster aus der Umgebung. Flechten hingegen sammelt der Chefkoch selbst. Im Frühling gar sackweise. «Gebraten oder süss-sauer eingekocht, schmecken Flechten wunderbar», sagt der Gourmetkoch. Besonders der seltenen Bartflechte begegnet er mit Respekt: «Diese wächst nur einen Millimeter pro Jahr.» Für ihn ist klar: «Wenn ich für meine Küche im Wald sammle, tue ich das immer mit grösster Rücksicht der Natur gegenüber. Freveln ist ein absolutes No-Go.»

Stefan Wiesner gibt einen Teil seines Wissens im Kurs «Alchemistisches Kochen mit dem Feuerring» und im Wurstkurs weiter. Ob ein Kurs «Kochen mit Bäumen» geplant sei? «Ein Baumkurs wäre einzigartig. Ich bin der einzige Koch, der dieses Wissen hat. Aber dieses bleibt wohl mein Geheimnis.» Jahrelang kämpfte er vergebens für eine Kochuniversität. «In der Schweiz ist der Stellenwert der Kulinarik zu tief. Dabei kann Essen heilen oder krank machen.» Einen Teil seines Wissens findet man in Büchern wieder. Bald kommt ein neuen Kochbuch heraus, welches sich auch der Heilkraft des Essens widmet. Es ist an die ayurvedische Küche angelehnt, verwendet werden jedoch Lebensmittel aus der Schweiz. Wer den alchemistischen Naturkoch und seine Gerichte erleben möchte, der sollte das Wiesner Mysterion in den nächsten drei Jahren besuchen. «Dann höre ich auf», sagt der Hexer bestimmt. «Dann geht meine Ära zu Ende.» 

Über diese und viele weitere Themen lesen Sie in der neuen Ausgabe von «WALD und HOLZ».

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