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Viele Faktoren machen die Arbeit im Wald zu einer unfallträchtigen Tätigkeit. Urs Limacher (kleines Bild), Teamleiter Forst/Dienstleistungen bei der Suva, gibt im Interview über Arbeitssicherheit im Forst Auskunft und wie diese in den Betrieben verankert werden soll. Fotos :Suva

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

«Alles steht und fällt mit der Sicherheitskultur in den Betrieben»

Urs Limacher ist Teamleiter Forst/Dienstleistungen bei der Suva. Der gelernte Förster spricht im Interview über sinkende, aber immer noch zu hohe Unfallzahlen, deren Ursachen und seinen Optimismus, warum die Arbeit im Wald immer sicherer werden wird.

Interview Ralph Möll | Urs Limacher, was ist das A und O, damit die Arbeit im Wald sicher ist?

Das A ist das Stopp-Prinzip: Stopp bei Gefahr, Gefahr beheben, weiterarbeiten. Das O sind die lebenswichtigen Regeln für Waldarbeiten. Aus Analysen und Untersuchungen von früheren Unfällen wissen wir, dass etwa zwei Drittel aller tödlichen und schwerwiegenden Unfälle hätten verhindert werden können, wenn diese zehn Regeln eingehalten worden wären. Würden also diese Regeln eingehalten, könnten forstliche Arbeiten sicherer ausgeführt werden.

Also ist bei der Frage nach der Sicherheit der Mensch die Schwachstelle?

Der Faktor Mensch steht beim Thema Sicherheit im Zentrum, ja. Deshalb müssen wir uns auch immer wieder fragen, wie wir ihn dazu bringen und wie wir ihn beeinflussen können, sicher zu arbeiten.

Und wie gelingt Ihnen das?

Das hängt in hohem Masse mit der Sicherheitskultur in einem Betrieb zusammen. Diese finden wir in den Betrieben in verschiedenen Ausprägungen vor. Es gibt zum Beispiel eine regelorientierte Sicherheitskultur, bei der die Sicherheitsregeln im Zentrum stehen. Oder eine eher pragmatische Sicherheitskultur, bei der sich die Fachleute auf ihre Erfahrung und ihr Know-how verlassen. Wir streben jedoch eine wertschöpfende Sicherheitskultur an, bei der der Mensch im Zentrum steht.

Was ist nötig, um eine solche Kultur in einem Betrieb zu verankern?

Wir setzen dabei bei sechs verschiedenen Dimensionen an. Es braucht erstens eine Führung, die sich ohne Wenn und Aber zu dieser Sicherheitskultur und zur Sicherheit im Betrieb bekennt. Zweitens müssen verbindliche Regeln und Werte festgelegt, vereinbart und kommuniziert werden. Das führt mich auch gleich zum dritten Punkt: Kommunikation. Vor allem die jüngere Generation macht das gut vor. Sie scheut sich nicht, Probleme anzusprechen. Und die Jungen sagen nicht einfach «Das geht nicht», sondern sie bringen konstruktive Vorschläge und denken lösungsorientiert.

Welche Dimensionen müssen ausserdem berücksichtigt werden?

Die Grösse der Betriebe und die betriebliche Organisation spielen eine wesentliche Rolle. Je grösser der Betrieb, umso stärker kann die Mechanisierung ausgebaut werden. Und je weiter die Mechanisierung entwickelt ist, umso weniger Unfälle geschehen. Doch nicht nur die Grösse spielt eine Rolle, sondern auch, ob ein Betrieb «lernend» ist, ob er sich weiterentwickelt und mit aktuellen Entwicklungen Schritt hält. Für die Forstbranche bin ich da guter Dinge: Sie wird sich dank der vielen Weiterbildungsangebote definitiv weiterentwickeln. Als sechstes und letztes Element steht die Verantwortung. Die Verantwortung für die Sicherheit muss organisiert sein, und sie muss stufengerecht wahrgenommen werden. Auf diese sechs Dimensionen kommt es an, wenn wir die Menschen beeinflussen wollen, damit sie sicher arbeiten können.

Das ist die Theorie. Aber wird diese in der Praxis auch umgesetzt? Gefühlt berichten Medien über mehr Unfälle im Forst als über Unfälle in anderen Branchen.

Leider nicht nur gefühlt. Forstarbeiterinnen und Forstarbeiter verunfallen in der Schweiz im Schnitt alle drei Jahre – das reicht vom Zeckenstich bis zum Schwerstunfall. In Schweizer Forstbetrieben geschehen durchschnittlich 1700 Unfälle pro Jahr. Verglichen mit unseren anderen Branchen liegt der Forst damit auf dem ersten Platz. In den vergangenen zehn Jahren ereigneten sich knapp dreissig tödliche Unfälle. Das Todesfallrisiko im Forst ist sechzehnmal höher als der Suva-Schnitt. Das ist beträchtlich und zeigt uns, dass wir gemeinsam mit der Branche noch viel zu tun haben.

Warum ist die Forstarbeit so gefährlich?

Im Wald arbeiten wir auf unbefestigtem, heterogenem Untergrund, auf dem wir jederzeit stolpern und stürzen können.
Ausserdem ist die potenzielle Energie beim Fällen eines Baums enorm hoch. Wenn da etwas passiert, hat es gravierende Auswirkungen. Eine Gefahrenquelle, die erst seit einigen Jahren auftritt, sind stehendes, instabiles Totholz oder Bäume mit Totholz­anteil. Wenn ein solcher Ast quasi aus dem Nichts herunterfällt oder wenn Eschen, deren Wurzeln nicht mehr vorhanden sind, unvermittelt umfallen, dann sind das völlig unkalkulierbare Risiken. Die machen uns Angst, weil wir dagegen bis zu einem gewissen Grad ohnmächtig sind.

Gibt es dennoch Grund für Optimismus?

Ja, den gibt es. Die Zahlen mögen noch hoch sein und im Vergleich mit Vergleichswerten obenaus schwingen. Aber in den vergangenen Jahren reduzierte sich das Unfallrisiko in der Forstbranche um nicht weniger als neun Prozent. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Bloss wie lang dieser Weg noch ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen.

Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Da spielen sicher der Einsatz innovativer Fällmethoden sowie die fortschreitende Mechanisierung der Arbeiten im Wald eine grosse Rolle. WaldSchweiz ist nicht nur in dieser Hinsicht ein wichtiger Partner für die Suva. Gemeinsam haben wir beispielsweise den funkferngesteuerten Fällkeil in die Schweiz geholt. Es wird kaum DIE innovative Lösung geben, welche die Arbeit im Forst vollkommen sicher macht. Es braucht vielmehr zahlreiche kleine Schritte.

Tragen alle Betriebe der Arbeitssicherheit genügend Rechnung?

Mir ist kein Betrieb in der Schweiz bekannt, der die Arbeitssicherheit nicht ernst nimmt. Aber nicht alle Betriebe sind in ihrer Entwicklung bezüglich Arbeitssicherheit gleich weit. Solche Betriebe begleiten wir intensiv – während eines Jahres oder sogar zweier –, bis sie bezüglich Arbeitssicherheit auf einem guten Niveau sind.

Diese Betriebe werden sich kaum aktiv bei Ihnen melden. Wie detektieren Sie diese?

Einerseits führen wir systematische Betriebs- und Arbeitsplatzkontrollen durch. Wenn uns dort etwas auffällt, werden wir aktiv. Andererseits geben uns auch statistische Werte wie ein Anstieg der Unfallzahlen in einem Betrieb oder eine Häufung von Schwerstunfällen Anlass, um bei einem solchen Betrieb einmal vertieft hinzuschauen.

Welchen Stellenwert hat das Thema Sicherheit in der Ausbildung?

Die Forstbranche ist gegenüber anderen Branchen in dieser Beziehung vorbildlich unterwegs. Sicherheits­aspekte sind absolut zentral in der Ausbildung, vor allem in der Grundbildung sowie in den Ausbildungen zum Forstwartvorarbeiter oder zur Forstmaschinenführerin. Ich erwarte von der laufenden Überarbeitung der Richtlinie Forst­arbeiten der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit EKAS nochmals eine wesentliche Verbesserung, denn damit werden die Kompetenzen von Forstarbeiterinnen und -arbeitern nochmals geschärft.

Der Forst verfügte als eine der ersten Branchen über eine eigene Branchenlösung. Wie wichtig ist ein solches Sicherheitssystem?

Die Branchenlösung ist ein wichtiges Pio­nierprodukt, das von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam erarbeitet worden ist und das einen wesentlichen Beitrag zur Strukturbereinigung geleistet hat. Vor allem junge Betriebsleiter nehmen die Branchenlösung sehr ernst und erkennen den Mehrwert für ihre Organisation. Ausserdem macht es die Grösse der Betriebe inte­ressanter, eine Branchenlösung anzuwenden und zu führen. Ein anderer Punkt ist die Ausbildung zum SiBe – zum Sicherheitsbeauftragten. Es gibt wohl keine Branche, die im Verhältnis so viele ausgebildete SiBes hat wie die Forstbranche. Die Schulungen zum SiBe werden von der Branchenlösung Forst, von den beiden Försterschulen Lyss und Maienfeld sowie an der Hochschule für Agra-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL angeboten. 

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