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Foto: Ph. Gourmain

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Ein Eichenwald für den Dachstuhl der Notre-Dame in Paris

Die Kathedrale Notre-Dame in Paris, Teil des Weltkulturerbes, erhebt sich aus ihrer Asche. Öffentliche und privat tätige Förster aus Frankreich haben zusammen über eintausend Eichen geliefert, die für den Dachstuhl auf dieser historischen Baustelle benötigt werden.

Bernard Rérat* | «La Forêt» (Der Wald) – so nannten die Gesellen im Mittelalter das Eichengebälk, das sie im 12. Jahrhundert für das Dach der Kathedrale Notre-Dame in Paris errichtet hatten. Fast 800 Jahre später, genau am 15. April 2019, ging ein grosser Teil dieses weltberühmten Bauwerks in Flammen auf. Die Betroffenheit war so gross, dass eine Solidaritätswelle für die Restaurierung die gigantische Summe von 846 Millionen Euro an Spenden aus 150 Ländern zusammenbrachte.

Würden die französischen Behörden dem Druck von Betonkonstrukteuren, Stahlher­stellern und einigen verklärten Architekten nachgeben, die die Verwendung von Holz für den neuen Dachstuhl der Kathedrale als einem veralteten Material brandmarkten? Ein Teil der Öffentlichkeit war ausserdem besorgt, dass die Zukunft der französischen Eichenwälder durch die Holzentnahme bedroht sein könnte, und man musste hart kämpfen, um sie zu beruhigen.

Als die Forstbehörden aber klar­stellten, dass der Bedarf an Bauholz für Notre-Dame nur 0,1 % der jährlichen Eichen­ernte ausmachen würde, waren die Bedenken schnell verflogen. In einem Land, in dem sich die Waldfläche seit der Revolution verdoppelt hat, waren sich die Menschen schnell einig, dass es das Äquivalent von 10 Hektaren Wald wert ist, um daraus die neue Kirchturmspitze von Notre-Dame zu erstellen.

Der gesunde Menschenverstand siegte schliesslich: Es wurde beschlossen, den Dachstuhl von Notre-Dame wieder aus Eichenholz aufzubauen. Dabei wollte man sich möglichst stark an den Techniken und Fertigkeiten der Vergangenheit orientieren. Es wurde eine spezielle öffentliche Anstalt geschaffen, um diese riesige historische Baustelle zu leiten und zu koordinieren. Unter ihrer Aufsicht wurde der Verein
«Restaurons Notre-Dame» ins Leben gerufen. Dieser setzt sich aus Experten, Fachleuten, Zimmerleuten, Vertretern von Ingenieurschulen für Holzverarbeitung sowie Architekten zusammen und erarbeitete verschiedene technische Möglichkeiten für die Realisierung eines neuen Holzgebälks für den Kirchenbau.

Ein gemeinsamer Elan

Zur Wiederherstellung der Turmspitze von Notre-Dame wurden etwa 1300 Eichen ausgewählt und Ende des Winters 2021 geschlagen. Anschliessend wurden weitere Bäume geerntet, um das Holz für das Haupt­gebälk des Kirchenschiffes zu liefern. Welcher Förster würde nicht gerne eine Eiche aus seinem Besitz, seiner Gemeinde oder seinem Gebiet in diesem zeitlosen Bauwerk wissen? Die Angebote für Holzspenden kamen von allen Seiten. Deshalb mussten die Verantwortlichen auswählen, indem sie Qualitätskriterien aufstellten, die viel strenger waren als üblich. Öffentliche und private Wälder trugen zu gleichen Teilen zu den Holzspenden bei.

Die französischen Staatswälder, deren heutiger Zustand häufig noch auf die Visionen über die zukünftigen Bedürfnisse des Landes von Jean-Baptiste Colbert, einem Minister von König Ludwig XIV., zurückzuführen ist, haben spektakuläre Hölzer geliefert. Diese aussergewöhnlichen Stämme mit grossen Durchmessern und ansehnlichen Längen mussten für den Bau der Turmspitze spezifische Krümmungen aufweisen. Um beim Fällen Bruch zu vermeiden, wurden die schönsten unter ihnen von Baumkletterern gefällt, die bisweilen in über 20 Metern Höhe arbeiteten.

Der Privatwald hat analog zu den Besitzverhältnissen in Frankreich zur Solidaritätswelle beigetragen: 3,5 Millionen Eigentümer besitzen 70 % der französischen Waldflächen. Auch Privatpersonen aus Regionen, die nicht gerade für ihren Reichtum an hochwertigen Eichen bekannt sind, boten spontan Hilfe an. Dies ist beispielsweise in Okzitanien (Südfrankreich) der Fall, wo einzig der Wald von Denis Barré Eichen für die Baustelle von Notre-Dame liefern konnte.

Denis Barré besitzt 210 Hektaren Wald in der Gascogne in der Nähe der Gipfel der Pyrenäen. 2021 wurde dieser Wald, der
Bois d’Estive, dadurch geehrt, dass drei schöne Eichen daraus auf freiwilliger Basis für den neuen Dachstuhl von Notre-Dame in Paris zur Verfügung gestellt wurden. «Als Waldbesitzer ist man glücklich und stolz, zu wissen, dass diese Bäume aus unserem Familienwald zu einem historischen Ereignis beitragen.» Ein Stolz, der umso grösser ist, als diese drei Exemplare aus dem Bois d’Estive die einzigen sind, welche Okzitanien im neuen Dach von Notre-Dame vertreten.

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