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Ist ein Holzschlag nötig, bietet das jeweils eine gute Voraussetzung, um den Wald gezielt zu verjüngen.Fotos: Staatsforstbetrieb des Kantons Bern

Verband & Politik | ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Die Verjüngung von Wäldern fördert ihre Widerstandskraft

Lange Hitzeperioden, Jahrhundertstürme oder Trockenheit gefährden die Gesundheit der Wälder und stellen deren Resistenz auf eine harte Probe. Die Verjüngung ganzer Waldgebiete gehört vielerorts zu den wichtigsten Massnahmen im Hinblick auf den Klimawandel.

Sabine Vontobel* | Kein seriöser Wissenschafter stellt den Klimawandel heute noch infrage. Ebenso wenig ist die Tatsache von der Hand zu weisen, dass die zunehmenden meteorologischen Extremereignisse dem Wald schwer zu schaffen machen. Der wohlüberlegte Umbau der Wälder und damit deren Anpassung an die klimatischen Bedingungen unserer Zeit stellt die Forstverantwortlichen im gesamten Land vor grosse Herausforderungen. Eine Massnahme, die dafür sorgen kann, dass die Wälder für die Zukunft gewappnet sind, ist ihre Verjüngung – sei dies nun auf natürliche Weise oder im Zuge gezielter Eingriffe. Denn: Verjüngung fördert eine vielfältige Baumartenstruktur, die den Wald insgesamt widerstandsfähiger gegen Schädlinge, Krankheiten und extreme Wetterbedingungen macht. Ein gesunder, biodiverser Wald kann schlicht besser
auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren.

Die Verantwortlichen im Forst verfolgen meist verschiedene Prinzipien, die den Wald dabei unterstützen, Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen aufzubauen oder sich nach solchen rascher wieder zu erholen. Dazu gehören etwa die Erhöhung der bereits erwähnten Artenvielfalt, die Vergrösserung der Strukturvielfalt und der genetischen Vielfalt oder die Förderung der Stabilität einzelner Bäume. Moreno Müller, Förster beim Staatsforstbetrieb des Kantons Bern, vergleicht dieses Vorgehen mit wohldurchdachten Anlagestrategien an der Börse: «Die Unsicherheiten, die der Klimawandel mit sich bringt, werden verteilt, und das Verlustrisiko kann minimiert werden.» Wer also diversifiziert, reduziert das Risiko und kann einzelne Ausfälle
besser verkraften.

Natürliche oder künstliche Verjüngung?

Genau so ging man Ende 2023 im beliebten Naherholungsgebiet des Könizbergwaldes (BE), für das Moreno Müller die Verantwortung trägt, vor. Auf einem 2,5 Hektar grossen Waldstück wurden rund 2000 Kubikmeter Holz geschlagen, um Platz für Nachwuchs zu schaffen. Verjüngungen sind aufgrund des meist nötigen Holzschlages teilweise einschneidend und verändern ein Stück Wald auch für den Laien erkennbar. «Es ist möglich, einen Wald natürlich oder künstlich zu verjüngen. Bei der künstlichen Verjüngung pflanzen wir nach dem Holzschlag neue Bäume an. Bei der natürlichen Verjüngung lassen wir die Natur machen.» Das heisst, Jungbäume wachsen spontan aus herabgefallenen oder angeflogenen Samen von Nachbarbäumen.

Im Rahmen der natürlichen Verjüngung wird die Baumartenmischung über das Licht gesteuert. Es gibt Arten, die Schatten mögen, und solche, die viel Licht brauchen. Für die Artenvielfalt ist es deshalb wichtig, dass die gesamte Lichtamplitude – von viel bis wenig Licht – vorhanden ist. «Gibt es zu wenig Licht, setzen sich nur Schatten- und Halbschattenbaumarten durch. Gerade im Hinblick auf die Klimaveränderungen wäre dies jedoch schlecht, denn wir brauchen vermehrt Lichtbaumarten. Sie ertragen Hitze und Trockenheit besser.»

Gemäss den Zwischenergebnissen des Landesforstinventars 5 (LFI5) sind schweizweit 91 Prozent der regenerierten Flächen mit Naturverjüngung bedeckt. Das heisst, dass nur auf 9 Prozent der regenerierten Flächen effektiv Pflanzungen stattgefunden haben. «Diese Zahlen basieren auf 6000 Stichproben und spiegeln die aktuelle Praxis im Wald gut wider», schreibt das Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf Anfrage. 

Auch Moreno Müller betont, dass es, wenn immer möglich, das Ziel ist, die Wälder auf natürliche Weise zu verjüngen. Dieses Vorgehen biete verschiedene Vorteile: Da die Jungbäume aus Samen wachsen, kommt es zu keinen Wurzelverletzungen oder Deformationen, die Artenvielfalt und die genetische Vielfalt sind gewährleistet, ausserdem sind Bäume aus natürlicher Verjüngung tendenziell robuster, weil sie besser an die herrschenden Standortfaktoren angepasst sind. «Auch aus finanzieller Sicht bietet eine natürliche Verjüngung Vorteile: Die Kosten liegen klar tiefer.»

Lichtliebende Arten auf dem Vormarsch

Verjüngen kann man Waldstücke prinzipiell überall – ob nun mittels Pflanzungen oder auf natürlichem Weg. Beide Strategien haben zum Ziel, die vom Wald geforderten Leistungen permanent und langfristig zu sichern. In dieser Absicht wird die natürliche genauso wie die künstliche Verjüngung von den Forstleuten gelenkt. Der Entscheid, was, wo und in welcher Form unternommen wird, hängt von diversen Faktoren ab. «Prioritär bevorzugen wir für die generelle Verjüngung Standorte, an denen wir unter dem Strich die grösste Wirkung erzielen», sagt Moreno Müller. «Und die grösste Wirkung erzielen wir eben dort, wo geeignete Samenbäume vorhanden sind und das Keimbeet optimale Voraussetzungen bietet, damit Samen überhaupt anwachsen können.» Dafür darf die Bodenvegetation, beispielsweise aus Brombeere, Farn oder Reitgras, nicht zu dicht sein. Gemäss BAFU soll der Mensch dann eingreifen, wenn Baum­arten eingeführt werden sollen, die im aktuellen Bestand oder in der Umgebung noch nicht vorhanden sind.

Selbstverständlich ist die Wahl der geeigneten Baumart im Zuge der künstlichen Verjüngung auch standortabhängig. «Wir bewirtschaften Wälder von 400 m ü. M. bis hinauf an die Waldgrenze. Bäume, die in tiefen Lagen nicht mehr standortgerecht oder zukunftsfähig sind, können dies in den Voralpen oder Alpenregionen durchaus sein», erklärt Moreno Müller. Deshalb könne man nicht pauschal sagen, auf welche Art nun abschliessend gesetzt werde. Vorzugsweise würden bei Pflanzungen Arten gefördert, die unter Einbezug von absehbaren Klimaveränderungen die besten Zukunftschancen hätten. Mehrheitlich seien das lichtliebende Arten und eher Laubbäume. «Sie sollen schliesslich auch die Funktion von künftigen Samenbäumen übernehmen. Vielfach sind es deshalb Wildkirsche, Stiel- und Traubeneiche, Berg- und Spitzahorn, Birke oder Vogelbeere.» Zu sagen, es handle sich hierbei um die Baumarten der Zukunft, ist derweil zu kurz gedacht. «Auch hier kann man keine Pauschalaussagen machen. Ob eine Art erfolgreich ist, hängt in grossem Masse von der geografischen und topografischen Lage ab.» 

Holzschläge sind ein sensibles Thema

Licht- und wärmeliebenden Baumarten gehört die Zukunft, das scheint also unbestritten. Sie werden voraussichtlich die Garanten der Stabilität in den Wäldern sein. «Wir brauchen daher vor allem eines: Licht. Und das heisst eben, dass wir im Vergleich zu früher vermehrt grössere Holzschläge ausführen und stärker eingreifen müssen», sagt Moreno Müller.

In den betroffenen Gebieten verändere sich das Waldbild schnell und stark. Die schrittweise Verjüngung von Wäldern führe deshalb auch oft zu Reaktionen aus der Bevölkerung. «Das ist verständlich. Kennt man als Spaziergänger, Erholungssuchender oder Anwohner die Hintergründe und Ziele solcher Massnahmen nicht, scheinen forstliche Eingriffe radikal und nicht immer nachvollziehbar.» Die allgemeine Besorgnis der Bevölkerung aufgrund der Klimaveränderungen sorgt seit einigen Jahren ebenfalls für vermehrte Reaktionen. «Wir versuchen, dem mit Verständnis und vor allem mit Wissensvermittlung zu begegnen. Seit rund vier Jahren kommuniziert der Staatsforstbetrieb des Kantons Bern aktiv via Netzwerkarbeit, Website und vor Ort.» 

Konkret informieren Moreno Müller und sein Team in stark besuchten Waldgebieten beispielsweise während der Baumanzeichnung mit Informationstafeln. «Wir bieten auch Waldrundgänge zu spezifischen Holzschlägen an, informieren Gemeinden sowie Interessenvertreter direkt und berücksichtigen je nach Möglichkeit deren Anliegen bereits in der Planung. Ausserdem arbeiten wir mit diversen Partnern wie Pro Natura, der Schweizerischen Vogelwarte Sempach oder lokalen Trinkwasserversorgern zusammen.» 

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